Adrian Abela und David Chircop
The Pursuit of Happiness – Das Lebensglück findet man am Brettspieltisch
“Wollen Sie Ihre Wäsche auf meinem Waschbrett waschen?“
Hector Helper war schon immer ein selbstloser Spross. Während seiner Jugend half er in der Nachbarschaft, wo er nur konnte. Keine Oma konnte davor sicher sein, ohne seine Hilfe über die Straße geleitet zu werden. Außerhalb dessen, verbrachte Hector seine gesamte Jugend im Fitness-Studio, wo er seiner Passion folgte, endlich definiert auszusehen. Seine Popularität und sein Einfluss sicherten ihm dann im zarten Alter von 18 Jahren die Wählerstimmen, sodass er – für viele völlig überraschend – zum Präsident ernannt wurde. Als erste Amtshandlung lud er seine Jugendfreunde zu einem Spieleabend ins Weiße Haus ein. Denn Hector hatte nie vergessen woher er kam und der Kontakt zu seiner alten Rollenspielgruppe war niemals abgebrochen. Da war Ida, die sozial-engagierte Singer-Song-Writerin, die ein Auge auf Lana die aufstrebende Make-Up-Artistin geworfen hatte. Dann gab es da noch Evelyn die sich immer mehr für Kerle als für Rollenspielbücher interessiert hatte. Ihr einziges Ziel schien zu sein, endlich die große Liebe zu finden. Und dann war da noch dieser seltsame stille Schreiberling, der bereits mit 16 Jahren seinen ersten Bestseller auf den Markt brachte… Solche, weitaus kuriosere, lustige oder auch mal ganz alltägliche Geschichten stehen am Ende einer Partie „The Pursuit of Happiness“. Das Ziel des Spiels ergibt sich dann auch direkt aus dem Namen: Wer wird am Ende der erfolgreichste gewesen sein bei seinem persönlichen „Streben nach Glück“?
Anmerkung: Die folgende Rezension bezieht sich auf das gesamte Material, das derzeit auf Englisch verfügbar ist. Konkret ist das die große Community-Erweiterung, sowie die beiden Kickstarter-Karten-Packs, die dem Spiel einige neue Kartenarten und somit Konzepte hinzufügen. Die Erweiterungen sind u.a. direkt über den Online-Shop von Atipia Games zu beziehen.
The Pursuit of Happiness ist im Kern ein klassisches Worker-Placement- und Ressourcen-Management Spiel für 1 bis 4 Spieler. Grundkonzept des Spiels sind das Langzeitglück, das wir am Ende des Lebens bei Rückblick auf das Vergangene empfinden (sprich: Siegpunkte), das Kurzzeitglück, dass uns in manchen Dekaden unseres Lebens das Leben erleichtert oder erschwert, Popularität durch unser Verhalten in der Nachbarschaft (Spielmaterial aus der Community-Erweiterung), Lebenszeit und Stress. Stress gilt es dabei nach Möglichkeit zu vermeiden, macht er uns doch unproduktiv und hindert uns daran, möglichst lang zu leben.
So kann es dann auch passieren, dass wir bereits während des Spiels aufgrund eines zu hohen Stresslevels versterben. Dies bedeutet aber nicht, dass man automatisch verloren hätte (Livin‘ hard, die young!). Die Rundenzahl variiert also bei jedem Spieler zwischen einer und maximal neun Runden.
Während dieser Runden setzen wir unsere Zeit ein (die „Arbeiter“ sind in diesem Spiel Sanduhren), um uns Projekten zu widmen, Gegenstände zu kaufen, unsere Jobs zu wechseln, Beziehungen einzugehen oder in der Nachbarschaft zu helfen. Oder oder oder… The Pursuit of Happiness bietet eine wirklich enorme Zahl an verschiedenen Kartenarten und somit Optionen. Dabei gilt: Mach, was dich glücklich macht! Einschränkungen gibt es vor allem durch den Zeit-/Arbeitermangel und die Ressourcen Geld, Einfluss, Wissen und Kreativität, die gut verwaltet werden wollen.
Am Tag als Lana Lovejoy starb
Spielmechanisch hat „The Pursuit of Happiness“ dann auch einige Schwächen. Da sind zuerst die Regeln, die einige Dinge unerklärt lassen, was gerade bei so einem thematischen Spiel sehr schade ist. Die zahlreichen Kartenarten tun hier ihr übriges, funktionieren sie doch allesamt unterschiedlich: Ein Basis-Projekt ist zum Beispiel etwas ganz anderes als ein einmaliges Projekt und etwas ganz anderes als ein Gruppenprojekt! Und eine Aktion auf dem Brett funktioniert anders als eine Aktion in unserer Kartenablage! Insgesamt ist der Spielablauf simpel, doch es gibt absurd viele fiddelige Sonderregeln. So bleiben bis in die letzte Runde noch Nachfragen bei allen Spielern. Die Verwaltung der Kartenarten (mit verschiedenen Nachlege-Regeln), die potenziell mögliche Spieler-Elimination und das man nur kurzfristig planen kann, sorgen stellenweise für extreme Downtime, in der nicht selten gefragt wird „Wer ist denn gerade dran?“ Insgesamt ist die Spieldauer für ein Kennerspiel mit zweieinhalb bis vier Stunden ziemlich lang, ich empfehle nicht unbedingt mit mehr als drei Spielern zu spielen. Wir taten es dennoch und hatten einen mordsmäßigen Spaß am Spieltisch.
Genug genörgelt, ich wollte doch noch joggen gehen, um meine Gesundheit zu stärken und damit vitaler zu leben, aber Mist, ich brauche doch noch schnell Geld für Tierfutter, damit mein Leguan nicht verhungert. Es ist so hart, seit ich die Familie mit meinem Freund Tom gegründet habe, finde ich kaum noch Zeit für mich! Meine Lebensziele sahen eigentlich mal anders aus…und warum ist der Himmel so rot, ist das etwa ein Meteor?
„The Pursuit of Happiness“ bringt einem ein ordentliches Maß an spannenden Dilemmata und v.a. spannenden Geschichten! Es passieren so dermaßen viele Kuriositäten, dass man damit Tagebücher befüllen könnte. An dieser Stelle einen herzlichen Gruß an das bewegte Leben der Lana Lovejoy, das mehr Liebesgeschichten zu bieten hatte als der Film „Tatsächlich Liebe“. Für mich und meine Spielegruppe ist das eingangs genannte Ziel, am Ende der Glücklichste zu sein und somit zu gewinnen, absolut zweitrangig. Wir feiern, wenn etwas Lustiges passiert („Ich sterbe an dem Stress, mein Motorrad nicht mehr unterhalten zu können!“ „Ich habe keine Zeit, um in Rente zu gehen!“), freuen uns miteinander über Fortschritte und erklären Lücken im Regelwerk thematisch mit dem, was uns kreativ in den Kopf kommt. Eine Partie „The Pursuit of Happiness“ macht mich somit trotz genannter Schwächen vor allem eins: Extrem glücklich.
Die deutsche Lokalisation „The Pursuit of Happiness“ kann man aktuell (Stand Januar 2019) in der Spieleschmiede fördern. Die große Erweiterung „Community“ soll bei Erfolg in einem weiteren Projekt gefördert werden. Noch unklar erscheint, wie es mit den beiden Kickstarter-Mini-Erweiterungen aussehen wird. Sie bieten mehr Karten von allem, aber auch neue Elemente: Runden-Events (z.B. der oben erwähnte Meteor), Trends (belohnen das absolvieren bestimmter Projekte), Freunde (interaktives Element zwischen zwei benachbarten Spielern), Stand-Alone-Jobs (neuer Typus an Jobs) und Haustiere. Ohne all‘ diese Elemente möchte ich keine Partie mehr spielen, zudem ist das Englisch sehr simpel. Somit lasse ich die deutsche Lokalisation sausen, bin aber sicher, dass sich viele Schmiede bereits auf das Streben nach Glück eingelassen haben. Ein Einstieg in die Förderung ist noch knapp einen Monat möglich. Und wie uns das Spiel lehrt, kann in 30 Tagen eine Menge passieren. Langweilig wird es mit dem Brettspiel gewiss nie.
Auf BGG gibt es außerdem noch jede Menge Fan-Made-Stuff (unter “Files”), die das Spiel meiner Meinung nach besser machen: Rundenübersichten, Regelzusammenfassungen, damit man nicht immer mit vier Regelheften gleichzeitig hantieren muss, oder Spielermatten für eine bessere Ordnung.