Luis Ranedo
Das Brettspiel Silk – Seidenraupenzucht mit Twist
Als kreatives Kind der 1990er verbrachte ich meine Freizeit mit Sticker Alben, Malen nach Zahlen, Polly Pocket, Ministeck, Lego Technik und natürlich mit Seidenmalerei. Das uralte Seidenmalset mit den verkrusteten Farben liegt noch immer in meinem alten Kinderzimmer. Von manchen Dingen kann man sich einfach schwer trennen.
Wer würde vermuten, dass die wundervolle Seide von ein paar kleinen Imomushi Seidenraupen gesponnen wird, die in einer Hochebene weit oben in den Akaishi Gebirgen leben. In diesem speziellen Mikroklima können die pelzigen Gesellen friedlich existieren und produzieren das wertvolle Material Seide. Doch einfach ist das Leben der Seidenraupen nicht. Gefahren lauern an allen Ecken und Enden. Die größte Bedrohung sind neben einer freilaufenden Bestie wohl aber die Mitspieler selbst…
“Silk” vom brasilianischen Herausgeber DEVIR Games wird auf der Spielemesse in Essen 2018 erstmalig vorgestellt. In dem 2 – 4 Personen Spiel schlüpfen wir in die Rolle von fürsorglichen Schäfern, die sich um das Wohlbefinden der wertvollen Seidenraupen kümmern. Silk ist dabei ein sehr taktisches kompetitives Aktions-Selektions-Spiel mit Würfeln und dauert ca. 45 Minuten. Gespielt wird dabei um Siegpunkte.
Silk bezaubert mit einer wundervoll illustrierten Box und ist vollgepackt mit tollem Spielmaterial. Die Figuren aus Holz sind wirklich toll und insbesondere der Ookami-Meeple ist eine Augenweide. Scoring-Board und das Aktions-Selektions-Brett sind traumhaft gestaltet. Die Regel ist übersichtlich und Silk erklärt sich fix einer neuen Spielgruppe. Alle haben Ihre Raupen, einen Schäfer, einen Hütehund und Ihre Aufzuchtstationen bei sich liegen. Wunderbar, dann kann das fröhliche Raupenzüchten auch schon beginnen.
Silk – weich, klein und sehr gemein
Zu Beginn des Spiels liegt ein Raster von Plättchen aus. Diese Plättchen gilt es abzugrasen. Seidenraupen lieben frisches Gras. Das gibt Punkte! Für unsere Raupen nur das Beste! Zum Start platzieren wir bereits schon einen Schwung Seidenraupen sowie eine Aufzuchtstation unseren Hütehund und den Schäfer. Schon hier offenbart sich die Boshaftigkeit des Spiels: Nicht alle Raupen können es sich im inneren des Gebiets gemütlich machen. Einige müssen an die Ränder ausweichen und das kann sehr schnell tödlich enden. Nach der Aufstellung geht es ans Eingemachte. Wer am Zug ist wirft mit zwei Würfeln. Diese geben vor welche beiden der sechs möglichen Aktionen man auf dem Gebirgsplateau ausführen kann. Bei jeder Aktion gilt: Manipulieren von Würfeln ist durch die Ausgabe von Siegpunkten jederzeit möglich.
Seidenraupen auf den Spielplan bringen, Schäfer und Hund bewegen, Zäune bauen, Aufzuchtstationen errichten, grasen und den bösen Ookami steuern. Klingt sehr simpel. Ist es auch. Trotzdem steckt hinter Silk jede Menge Taktik und strategisches Ausloten. Mit unserem Schäfer treiben wir Seidenraupen kreuz und quer über den Spielplan auf die heißbegehrten Grünflächen. Diese bringen beim abgrasen die meisten Siegpunkte und keiner will das Gebiet einem gegnerischen Hirten überlassen. Unser Hund und Schäfer ist auch in der Lage Raupen der Kontrahenten zu vertreiben. Herunter von saftigem Weideland auf ausgedörrte Flächen. Die am Ende nämlich nichts mehr an Punkten bringen. Oder wenn man einen besonders guten Tag hat, kann man mit dem Schäfer die kleinen wehrlosen Raupen auch einfach vom Rand des Spielplans schubsen… Dann sterben die pelzigen Knuffel aufgrund von Erfrierung. Familienfreundlich ist anders. Wer geschickt seine Aufzuchtstationen baut, seine Raupen vor der Bestie mit Hilfe von Zäunen abschirmt und fleißig von Feld zu Feld zieht um zu grasen, der kann am Ende triumphieren. Siegpunkte erzielt man durch das geschickte abgrasen von ertragreichen Plättchen. Außerdem gibt es noch vier ausliegende Sonderziele, auf die es sich zu spielen lohnt. Diese geben zwischen 5 und 10 Zusatzpunkten und können gut und gerne das Zünglein an der Waage sein.
Man findet keine Freunde mit Seidenraupen
Silk hat eine Lernkurve. Man muss das Spiel definitiv in gleicher Besetzung öfter spielen um eine vollumfängliche Taktik zu entfalten. Wo platziere ich mich zu Beginn. Wo baue ich Blockaden um meine Würmer vor Angriffen zu schützen und wo setze ich meine Dogge und meinen Schäfer am besten ein. Selbst unser aggressivster Spieler am Tisch tönte nach den ersten Todesfällen der kleinen Raupen “Dieses Spiel ist selbst mir zu gemein!” Ja gemein ist es! Wenn der Ookami unsere Raupen frisst oder ein anderer Schäfer uns vom Spielplan in den eisigen Tod schickt ist dies alles andere als lustig. Die Frustgrenze muss bei diesem Spiel schon extrem hoch angesetzt sein. Und ich gebe zu wir waren in der Partie mit 4 Personen kurz davor uns an die Gurgel zu gehen.
Für Leute die diese Art Verdrängung in Spielen mögen und gerne eine ausgeklügelte Strategie erarbeiten ist Silk aber absolut zu empfehlen.
Spieler, die gerne mal anderen in den Karren fahren, kann ich dieses Brettspiel auch ans Herz legen. Es muss definitiv in der richtigen Gruppe einen Platz finden. Für Social Gamer ist Silk daher eher nichts. Aufgrund des tollen Materials und der guten Zugänglichkeit was das Regelwerk angeht wird es in Essen sicher einen reißenden Absatz finden. Nicht zuletzt, weil es genug Spieler gibt, die diese Art der kleinen gemeinen Spiele unwahrscheinlich lieben.
Bei einer Partie zu zweit ist es nicht ganz so knallhart, da man sich hier auch gut aus dem Weg gehen kann. Die Auslage wird entsprechend der Spieleranzahl immer etwas verkleinert. Ich glaube trotzdem, dass Silk seine gesamte Boshaftigkeit aber erst in voller Besetzung entfaltet. Wie ein zartes Seidentuch wird sich das Spiel aber wohl niemals anfühlen. Ich bin tatsächlich überrascht wie viel Gemeinheit in solch einer schönen kleinen Box stecken kann. Überzeugt euch auf der SPIEL 2018 in Essen selbst davon.
meeplove bedankt sich herzlich bei Devir für das überlassene Rezensionsexemplar.