Bob Brechin, Brian Degas
Escape from Colditz – Wenn der Drang nach Freiheit siegt
Mit letzter Kraft zwängte sich Tamás durch das enge Loch im Drahtzaun. Die spärlichen Essensrationen, die er ein ums andere Mal verteufelt hatte, ebneten Ihm nun seinen Weg in die Freiheit. Etliche Kilos hatte er während seiner Gefangenschaft auf der Felsenfestung Colditz einbüßen müssen. Viele Strapazen ertragen. Damit sollte heute endgültig Schluss sein. Es war nicht einfach gewesen, dass Schneidewerkzeug aus den Baracken der Wärter zu stibitzen, aber während einem Moment der Unachtsamkeit, hatte er seine Chance genutzt. Durch ein verwinkeltes Tunnelsystem war er schnurstracks Richtung Freiheit aufgebrochen. Aufgekrochen wäre wohl das passendere Wort gewesen. Tamás musste grinsen. Er wand sich durch die Verdrahtung und spurtete los. Lief mit aller Macht gegen das Regime und den Freiheitsentzug an. Noch ein paar Meter, dann hatte er es geschafft! Doch die deutschen Wachen waren bereits alarmiert. Sie hatten sich an seine Fersen geheftet. Eine Wache setzte das Gewehr an… Ein Schuss peitschte durch die stille Morgenluft. Er traf Tamás genau zwischen den Schulterblättern. Leblos sackte er zu Boden. Das verschmitzte Lächeln hing immer noch in seinen Mundwinkeln. Er hatte seine Freiheit wiedererlangt, wenn auch auf dramatische Weise…
Was Tamás misslang, konnten dreißig Gefangene erfolgreich in die Tat umsetzen. Sie schafften die Flucht aus der Burg Colditz einem fast ausbruchsicheren Kriegsgefängnis.
Was nervenaufreibend klingt, ist Teil des semi-kooperativen–Spiel “Escape from Colditz”, welches bereits 1974 erschienen ist und im vorletzten Jahr als gemasterte Version von Osprey Games neu verlegt wurde. Das Brettspiel war in den 1970ger Jahren ein viel und gern gespieltes Game und kam mit einer leichten Roll and Move Mechanik daher. Würfeln und einen Pöppel bewegen. Ja so einfach war das damals. Rückblickend war Escape from Colditz der beste Kauf auf der Spielemesse vor 2 Jahren.
So wird Escape from Colditz gespielt
Escape from Colditz ist von 2 bis 6 Personen spielbar und erstreckt sich über einen Zeitraum von ca. 2 – 3 Stunden. Ziel des Spiel ist es mit zwei seiner zahlreichen Gefangenen lebend aus Burg Colditz zu entkommen. Der Gegenspieler möchte natürlich genau dies verhindern und spielt dabei auf Zeit. Läuft diese ab und keiner der Spieler hat mindestens zwei seiner Pöppel in Sicherheit gebracht, triumphiert der Gegenspieler. Die Regel ist dabei sehr schnell erklärt, wenngleich Sie in englischer Sprache verfasst ist. Lasst euch vom dicken Regelheft nicht abschrecken. Es ist angereichert mit zahlreichen geschichtlichen Bildern und vielen Erklärungen zum damaligem Hergang, der mehr als spannend ist. Ein genauerer Blick lohnt sich also in jedem Fall.
Ein Spieler schlüpft in die Rolle der deutschen Wachen, die über den Gefängnishof patrouillieren und immer einen Blick auf die Gefangenen haben. Die anderen Spieler – die Gefangenen – versuchen entweder gemeinsam, oder jeder für sich, der Strafanstalt zu entfliehen. Was benötigen sie dafür? Die nötige Prise Schneid und natürlich das ein odere andere hilfreiche Werkzeug. Diese Utensilien finden die Spieler in den einzelnen Räumlichkeiten, die sich an den riesigen Gefängnistrakt anschließen. In der Zugphase würfeln die Spieler jeweils 2 x mit einem W6 Würfel und teilen die erwürfelten Bewegungspunkte unter Ihren PoWs (Prisoner of War) auf. Man schwärmt so in alle Richtungen des Gefängnisses aus und versucht sich allerlei Dinge für den Ausbruch zu suchen. Dies kann ein Seil sein, oder ein Drahtschneider, der uns mit Leichtigkeit Stacheldraht kappen lässt, oder einfach ein gefälschter Pass.
Eine nervenaufreibende Treibjagd beginnt
Nachdem die Prisoner of War sich bewegt und verstreut haben, werden die Wachposten des Gegenspielers aktiv. Diese schwarzen Pöppel bewegt der “Overlord” in diesem Spiel auch mit Hilfe von 2 Würfeln. Gleiche Bedingungen wie bei den Gefangenen. Natürlich können die Wachposten sich besser postieren und haben jederzeit die Möglichkeit Gefangene bei einer Routinekontrolle zu schnappen. Zusätzlichen Spielreiz liefern die Karten die man bei einem geringen Würfelwurf ziehen und entsprechend im Spielverlauf einsetzen darf.
Wie vertusche ich meinen Fluchtversuch am Besten? Schicke ich ein Bauernopfer voraus, nur um dann über den Vorhof zu entkommen? Arbeite ich mit einer Nation zusammen oder versuche ich mein Glück alleine? Diese Fragen stellen sich die Spieler am Tisch häufig und es kommt durchaus zu viel Interaktion. Denn Escape from Colditz erlaubt den Gefangenen ein voll kooperatives Spielerlebnis. Man kann gegenseitig Karten tauschen und sich gemeinsam absprechen. Der Overlord indes beobachtet das Geschehen am Tisch mit Argusaugen und plant schon die nächste Attacke aus dem Hinterhalt…
Es kann für Spieler durchaus frustrierend sein, wenn einem Karten abgenommen werden. Befindet sich ein Großteil der Spielfiguren in Gefangenschaft sind dem Spieler unterdessen die Hände gebunden und erst bei einem erfolgreichen Pasch-Wurf, geht es auf dem Gefängnishof weiter. Alles auch ein wenig getrieben vom Glück der Würfel. Den Reiz des Spiels für meeplove macht aber der thematische Hintergrund und die einfache Mechanik aus.
Böse Zungen nennen es vielleicht “Fang den Hut mit einem Twist” für unsere bisherigen Spielgruppen war Escape from Colditz jedes Mal ein spannender und thematischer Wettlauf gegen die Zeit, der uns viel abverlangt hat, aber auch jede Menge Spaß gebracht hat. Wer diese Art von Nostalgie gepaart mit der – zugegeben nicht ganz unproblematischen – Thematik mag, sollte nicht zögern und sich dieses Brettspiel zulegen. Für große Strategen und Endlos-Planer sei von einer Abschaffung abzuraten.